Das war eigentlich gar kein richtiges Spiel - das war ein Rausch. Die Atmosphäre im Dortmunder “Westfalenstadion“, einfach sagenhaft. Dabei begann alles ein wenig mit gemischten Gefühlen: Die vermeintliche Sichtbehinderung entpuppte sich als durchaus hinnehmbar, aber inmitten von ein paar hundert polnischen Fans sitzen zu müssen, war im ersten Augenblick doch ein bisschen erschütternd. Schließlich hatten sich die Meldungen von den Randalen in der Innenstadt ziemlich schnell herumgesprochen. Aber meine polnischen Nachbarn waren sehr friedlich. Beim Abspielen der deutschen Nationalhymne, gab's sogar Applaus. Überhaupt begeisterte mich auch in Dortmund dieses entspannte und freundliche Miteinander. Wie gesagt - von den Randalen habe ich nur am Rande gehört, selbst aber nichts davon mitbekommen.
Ältere Damen mit Goldrand
Stattdessen fördert diese WM Situation zutage, die ich vorher nicht für möglich gehalten hätte: Da habe ich ältere, sehr gepflegt, aussehende Damen mit Brille im Goldgestell gesehen, die fröhlich Schwarz-Weiß spazieren trugen. Sie sahen eher nach Oper und Theater aus, aber bestimmt nicht nach Länderspiel. Oder: Auf dem Weg zu einem der 2006-FIFA-Fußball-Weltmeisterschaft-Trademark-Verpflegungsstände im Stadion hörte ich lange vor dem Spiel von weitem unsere Nationalhymne erklingen. Ich zuckte unwillkürlich zusammen, weil ich irgendetwas von “Deutschland, Deutschland über alles” zu vernehmen glaubte. Als ich aber näher kam, sah ich einen Trompetenspieler aus den wartenden Schlangen herausragen. Er trompetete die deutsche Nationalhymne. Und die paar hundert Leute, die auf ihr Bier oder Cola warteten, sangen mit - und zwar “Einigkeit und Recht und Freiheit“. Es hörte sich nicht einmal nach Gegröle an. Es schien sogar so, als würden sich alle bemühen, besonders schön, leise und aggressionslos zu singen. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber die Situation hatte nichts Erschreckendes oder Abstoßendes an sich.
Und das Spiel selber … Naja, wie gesagt, ich bin froh, live dabei gewesen zu sein. Am Ende taten mir nur meine netten polnischen Nachbarn leid. Ich hätte ihnen fast den einen Punkt noch gegönnt. Aber nur fast.
Das ist doch mal ernstgenommene und fleissige Berichterstattung! Wer um drei Uhr nachts noch einen Beitrag zum Besten gibt, hat den Titel "WM-Berichterstatter" wirklich verdient.
Kai am 16.06.06 11:07
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