Die Abschlusstrainingseinheit vor den Spielen der deutschen Elf - für meine Kollegen und mich beginnt sie stets als Zitterpartie. 15 Minuten dürfen wir Journalisten dabei zuschauen - wenn wir es denn rechtzeitig in den Stadion-Innenraum schaffen. Denn vor die Berichterstattung hat die FIFA den Steward (neudeutsch für Ordner) gesetzt. Und einige dieser Damen und Herren leben einen geradezu bizarren, blinden Gehorsam aus.
Gestern war's mal wieder soweit. Tatort diesmal: das Berliner Olympiastadion. Drei Kontrollen habe ich dank meiner sichtbar am Hals baumelnden Akkreditierung (mit Foto!) passiert. Unmittelbar vor dem ersten Zugang zum Stadion-Innenraum kommen zwei jungen Ordnerinnen erste Zweifel, ob sich die Kollegen nicht doch geirrt haben könnten, als sie mich passieren ließen. Ratlos starren sie auf meine Akkreditierung. Das Präludium verlangt geradezu nach einer Arie. Ich bekomme sie. Während die Mädchen sich in Verschwörermanier beratschlagen, öffne ich einfach schon mal die Stahltür zum Treppeneingang. Verzweifelte Augen blicken mich an. Sechs Kollegen scheinen Einzug in den Vorhof zur Hölle gehalten zu haben. Ein hünenhafter Steward will - irgendwo von oben - den Befehl erhalten haben, keinen Journalisten ins Stadion zu lassen, ehe der Mannschaftsbus vorgefahren ist. Und natürlich ignoriert er den Hinweis, dass am Spielfeldrand schon rund 100 Kollegen postiert sind.
Revolution liegt in der Luft. Der Befehlsempfänger beruft sich, hektisch telefonierend, auf Befehlsnotstand. Wir berufen uns auf den gesunden Menschenverstand und lassen ihn einfach stehen. Ich sehe uns schon in einer kargen Zelle landen, doch zu meiner Verblüffung werden wir nicht vor ein Schnellgericht gestellt. Auch nicht der Kollege, der nach(!) dem Training höchst unwillig eine erneute Taschenkontrolle über sich ergehen lassen muss. Was könnte der bloß gestohlen haben: den deutschen Einzug ins Achtelfinale?
Geil,
ich dachte immer, das geht uns Journalisten nur bei Konzerten so (Bin Konzertfotograf)
Na, das beruhigt mich ja ein bissel, dass es auch beim Fußball solche "Hundertprozentigen" gibt *g*
Bartzsch am 20.06.06 14:00
Lieber Frank,
ich hatte vor bei meiner Hochzeit einige dieser Stewards einzustellen. Aber da du beruflich in Berlin und nicht in Düsseldorf, bzw. Meerbusch warst, habe ich die netten Herren in die Hauptstadt geschickt :D
Ist es nicht wie bei jeder Großveranstaltung!? Diese Menschen bekommen einen traurig geringen Lohn für eine eigentlich unwürdige Arbeit. Bei der Höhe der Entlohnung ist leider der Preis für Denkarbeit nicht inbegriffen. Aber vielleicht wäre das ja mal ein Ansatzpunkt. Schließlich wäre die schönste WM ein Witz, wenn es keine Journalisten gibt, die darüber berichten können, weil ihnen der Zugang permanent verwehrt wird.
Ich erinnere mich da gerne an die Eröffnung des Metro Future Store in Rheinberg, wo die Bodyguards von Claudia Schiffer, die den Zukunfts-Supermarkt eröffnete, alle Fotografen und Journalisten als Paparazzi missverstanden hatten. Wir Journalisten hielten zusammen und drohten mit einem kollektiven Bericht-Boykott. Da leuteten plötzlich die Alarmglocken bei der Presseabteilung und man zeigte sich plötzlich sehr hilfsbereit gegenüber denjenigen, die zuvor noch als "blöde Wxxxx" beschimpft wurden. Es ist aber immer schade, dass eine schöne Veranstaltung wegen solcher Unfähigkeit immer einen faden Beigeschmack bekommt.
Daniel Meffert geb. Thywissen :D
jetzt heiße ich Daniel Meffert am 21.06.06 11:11
ich unterstelle ja seit eh und je einen direkten Zusammenhang zwischen dem nagenden Gefühl innerer Kleinheit und der Vorliebe für Tätigkeiten, die darauf abzielen, für Recht und Ordnung zu sorgen - egal, wie bestusst die zugrunde Logik auch sein mag.
Danke für diesen köstlichen Beitrag :-)
Jivan Abadha am 21.06.06 12:04
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